Februar 1979 von
Thomas Sävert
Erlebnisbericht zum Schneesturm im Februar 1979
Der folgende Bericht soll meine eigenen Erlebnisse während des Schneesturms im Februar in und um den Ort Neuenbrook bei Itzehoe im Südwesten Schleswig-Holstein wiedergeben (© des Textes und der Bilder bei Thomas Sävert, zum Vergrößern die Bilder bitte anklicken, jeweils ca. 45 bis 75 KB).
Es fing alles ganz harmlos an und wurde doch schnell zu einer unvorhergesehenen Bedrohung für die Menschen und Tiere im Norden Deutschlands: Um den 10. Februar herum lagen bei uns im Landesteil Holstein immer noch Schneeberge vom vergangenen, ersten Schneesturm zum Jahreswechsel. Die Wetterberichte am 12. (Montag) kündigten dann erste Schneefälle für den nächsten Tag an, man hat sich aber noch nichts dabei gedacht. Und auch am Morgen des 13. (Dienstag) machte sich kaum jemand bei uns im Ort Gedanken über das, was dann kommen sollte.

Steckengebliebene LKW vor Neuenbrook (Fototasche wehte vor die Linse)
Bevor der Verkehr völlig zusammenbrach und die beiden LKW (siehe Foto oben) die wichtige Bundesstraße B 5 Hamburg - Itzehoe blockierten, passierte einiges: Am Dienstagnachmittag (13.02.) setzte gegen 14 Uhr leichter Schneefall ein. Es waren feine, kleine Flocken. Der Wind hatte aber schon am Vormittag stärker aufgefrischt. Schon nach wenigen Stunden herrschte dichtes Schneetreiben. In den Wetterberichten im Rundfunk (z.B. NDR 2) sprach man inzwischen auch von möglichen Schneeverwehungen. Man diskutierte am Abend auch im Dorf, was passieren könnte und ob es wieder so kommt wie 6 Wochen zuvor. Schon am Abend bleiben hier und da mal Fahrzeuge stecken, wurden aber befreit und konnten dann weiterfahren. Noch war es keine Katastrophe, aber die Behinderungen durch den Schnee nahmen zu. Viele Gräben und Senken waren noch mit Schnee vom Jahreswechsel gefüllt. Daher gab es sehr schnell erste Verwehungen und die Straßen waren sehr glatt. Die Fahrspuren vereisten und machten das Fahren zu einer gefährlichen Rutschpartie.
Mit dem leichten bis mäßigen Schneetreiben ging man am Dienstagabend ins Bett und glaubte eigentlich noch nicht an eine Wiederholung des ersten Schneesturms. Am Mittwochmorgen (14. Februar) klingelte sehr früh der Wecker. Normalerweise fährt der Bus, mit dem wir zur Schule fahren, zuerst von Itzehoe nach Glückstadt (die Stadt an der Elbe mit der bekannten Fähre) und startet von dort seine erste Tour zur Kreisstadt Itzehoe. Um 07:10 Uhr ist Abfahrt in unserem Ort Neuenbrook.
Kurz nach 6 Uhr sind wir sofort hellwach. Ich schaue aus dem Fenster und sehe nichts als Schnee - und gelbe Blinklichter. Sie gehören zu einer Schneefräse, die am Ortsausgang in einer Schneewehe steckengeblieben ist. Direkt dahinter steht der Bus, der eigentlich nach Glückstadt fahren soll und ebenfalls nicht mehr weiter kommt. Unsere Mutter meinte auch gleich, die Schule fällt wohl heute aus. Nach zwei Stunden ist zwar die Schneefräse befreit, aber der Bus dreht direkt um und fährt leer nach Itzehoe zurück. Der Busverkehr wird damit eingestellt, an Schule ist nicht mehr zu denken.
Das Schneetreiben ist schon am Mittwoch morgen extrem stark mit Schneewehen, die inzwischen mehr als 1 Meter hoch sind. Den gesamten Tag hält es an und die Sichtweiten liegen im Ort immerhin bei 20 bis 30 Meter, außerhalb sogar nur bei 2 bis 3 Meter. Die Böen erreichen bei Temperaturen deutlich unter Null Stärke 8 bis 9, manchmal noch mehr. Der Schnee sticht einen wie Nadeln ins Gesicht, wenn man sich in Windrichtung wendet. An dieses Gefühl kann ich mich noch heute gut erinnern. Aber weiter als bis zum Ortsschild traue ich mich nicht, man verliert ja fast die Orientierung.
Am Nachmittag stellt die Polizei aus Richtung Itzehoe einen Konvoi aus mehreren dutzend Fahrzeugen zusammen, darunter viele LKW und einige weitere Reisende. Auch Bekannte von uns aus Dithmarschen sind mit einem voll beladenen LKW unterwegs und schaffen es dann sogar, in gut zwei Stunden im 50 Kilometer entfernten Hamburg zu sein. Einige tanken noch bei uns im Ort, bevor sich der Konvoi auf die gefährliche Reise macht. Man muss dabei bedenken, dass die Gegend um Neuenbrook sehr flach ist und der Schnee kilometerweit vom Wind über Felder und Wiesen auf die Straße getrieben wird.
Im Radio hören wir dann, dass auch in der Gegenrichtung zum Abend ein Konvoi unterwegs sein soll, doch wir warten vergeblich. Nachrichten gibt es Rundfunk zwar viele, aber nichts über unsere Region - noch nicht. Um 18 Uhr wird dann im Kreis Steinburg mit der Kreisstadt Itzehoe der Katastrophenalarm ausgelöst, verbunden mit einem totalen Fahrverbot. Ausnahmen gibt es nur noch für dringende Fahrten, die aber nur in geländegängigen Fahrzeugen unternommen werden dürfen und einer individuellen Genehmigung bedürfen. Wir warten aber immer noch auf den Konvoi, der eigentlich schon längst überfällig ist.
Am Abend fällt dann immer wieder mal der Strom aus. Mit Nachbarn haben wir schon gesprochen, ihr alter Ofen funktioniert noch, die Kochgelegenheit ist gesichert, Vorräte haben wir genug. Andere kaufen bis zum Abend den kleinen Dorfladen leer, da kein Durchkommen zu anderen Orten oder gar nach Itzehoe mehr möglich ist. Mit LKW-Batterien wird eine Art Notstromgerät gebaut, um für den Notfall wenigstens etwas Licht zu haben. Einige Landwirte haben nach dem Schneesturm vor 6 Wochen Notstromaggregate angeschafft, aber sie waren zunächst oft ausverkauft. Die Heizung ist bei den meisten nicht betroffen, da fast alle im Dorf Ölheizung haben.
So geht es in den späten Abend und noch immer ist nicht über den Konvoi zu hören. Gegen 23:30 Uhr klopft es dann laut an der Tür: Da stehen doch tatsächlich die beiden LKW-Fahrer aus Dithmarschen vor der Tür, der eine ohne Jacke, der andere mit Bart und langen Eiszapfen daran. Sie sind völlig durchgefroren und fast am Ende nach dem Fußmarsch, bei dem sie Mühe hatten, das Dorf zu finden. Drinnen müssen sie sich erst einmal aufwärmen, aber es bleibt keine Zeit. Denn sie berichten sofort von dem Drama, das sich 1 bis 1,5 Kilometer vor dem Ort abspielt. Rund 80 Fahrzeuge sind im Schnee steckengeblieben - der Konvoi, den wir schon vermisst haben. Tja, kurz überlegt - was tun? Die Sirene ist ja oben auf dem Dach, vielleicht hört sie jemand? Telefon geht zum Glück auch noch, sofort wird die Feuerwehr angerufen, erst mal die im Ort, dann die außerhalb, die aber keine Chance hat, durchzukommen. Also los mit der Sirene, schnell sind 40 bis 50 Leute mit Schaufeln zusammengetrommelt und ab geht es in den Schneesturm hinein. Vom THW schafft es auch noch jemand hinzuzustoßen. Mitten in der Nacht werden so etwa 120 Menschen aus ihren Fahrzeugen befreit und im Dorf verteilt. Die meisten kommen in einer Fernfahrerraststätte nebenan unter, andere werden privat untergebracht, man rückt halt etwas zusammen. Einige der LKW-Fahrer wollen zwar ihre voll beladenen Fahrzeuge mit teils wertvoller Fracht zuerst nicht verlassen, lassen sich dann aber doch aus dem Schnee befreien.
Da stehen sie nun, die 80 Fahrzeuge - und der Schneesturm lässt überhaupt nicht nach. Am Donnerstagmorgen kämpfen sich vier Radlader der Bundeswehr aus Richtung Itzehoe zu uns durch. Weitere Fahrzeuge mit mehreren dutzend Helfern sind dabei. Dazu kommt ein Radlader, der eigentlich auf den Weg nach Husum war und bei uns gestrandet ist. Mühsam versucht man im Laufe des Tages zu den steckengebliebenen Fahrzeugen durchzukommen. Für den ersten LKW braucht man rund zwei Stunden, dann steht er mitten im etwas geschützten Dorf, wo der Schneesturm nicht ganz so schlimm tobt. Zeitweise kommen die Helfer gar nicht mehr voran, da die gerade halbwegs geräumte Straße nach wenigen Minuten wieder zugeweht wird. Am Abend stellt sich heraus, dass sich unter den LKW auch ein mit Lebensmitteln beladener Lastwagen befindet. Mit zwei Planierraupen und einem Panzer befreit man ihn aus dem Schnee, denn langsam schwinden bei einigen die Vorräte.

Mit einem Radlader vorweg und einem Kranwagen wird einer der LKW aus dem Schnee geholt

Das Foto zeigt den Rückstau der LKW in Grevenkoop, einer Häuseransammlung zwei Kilometer vor Neuenbrook. Durch die beiden festgefahrenen LKW (siehe oben) ging nichts mehr.

Rechts am Bildrand erkennt man bei genauerem Hinschauen die obere Kante des Ortsschildes von Neuenbrook am südlichen Ortsausgang. Auf der Hauptstraße werden die ersten LKW aufgereiht.
Am Freitag (16. Februar) gelingt es der Bundeswehr, fast alle Fahrzeuge aus dem Schnee zu befreien, das ganze Dort wird vollgestellt. Man will und kann niemanden auf die Strecke schicken, bevor sie ganz frei ist und so lange der Wind noch so stark ist. Es schneit zwar nur noch ab und zu, aber durch die Sturmböen wird die Bundesstraße immer wieder zugeweht. Mit Schneepflügen fährt man zwar laufend die Strecke von Neuenbrook zum nächsten Ort ab, aber auch die haben es immer wieder schwer, die erst vor wenigen Minuten geräumte Strecke zu passieren.

Die Polizei lässt die vielen LKW und einige PKW im Ort aufstellen.
Immerhin ist damit die wichtige Bundesstraße bald wieder frei. Das Fahrverbot bleibt aber vorerst bestehen. Bei einzelnen Verstößen werden drastische Strafen verhängt, der Führerschein wird entzogen und eine Geldbuße in Höhe von 500,- DM verlangt. Am Freitagnachmittag werden Bestellungen eingesammelt und der Nachbar wird mit einem Geländefahrzeug und Bundeswehrbegleitung in den Nachbarort zum Schlachter geschickt.
Am Wochenende wird ein großer Konvoi zusammengestellt, mit dem nunmehr insgesamt etwa 200 Fahrzeuge auf eine schwierige Reise geschickt werden. Viele Dorfbewohner stehen an der Straße oder auf Schneehügeln, um die "Besucher" zu verabschieden. Einige der LKW-Fahrer kommen später auch Jahre später noch immer wieder vorbei und zeigen ihre Dankbarkeit.
Auch der Annahmeschluss für die Lottoziehung am Samstagabend wird in Schleswig-Holstein verlegt. Also werden Lottoscheine im Dorf eingesammelt und dann geht es los: Am späten Samstagvormittag machen wir uns gut gerüstet auf den 2 Kilometer langen Weg zum Nachbarort, wo sich die Lottoannahmestelle befindet. Es dauert zwar insgesamt gut zwei Stunden und der schneidende Wind macht uns zu schaffen, aber wir kommen dann doch ganz gut durch.

Diese Schneewehe mitten im Ort reicht etwa 4 Meter hoch. Die vielen Fußspuren zeugen von den Leuten aus unseren Dorf und dem Nachbarort, die sich das Schneechaos unbedingt ansehen wollten. Denn am Sonntag kommt endlich die Sonne zum Vorschein und lässt den Schnee zum fast unwirklichen, teils auch schönen Schauspiel werden.
Erst am Montag (19. Februar), 0 Uhr, werden der Katastrophenalarm und das Fahrverbot in unserem Landkreis aufgehoben, in anderen Regionen dauert das noch viel länger. Die Straße besteht aber nur noch aus einer holprigen Buckelpiste, auf der man kaum mehr als 20 km/h fahren kann. Der Weg zur Schule ist endlos lang, zumal der Verkehr teilweise einspurig läuft. Die Behörden rufen über Rundfunk auf, auch in den kommenden Tagen nur dringend notwendige Fahrten zu unternehmen. Dafür gibt es am Vormittag zum ersten mal wieder eine Tageszeitung, wir waren ja völlig abgeschnitten. Die "Norddeutsche Rundschau" in Itzehoe erscheint zwischenzeitlich sowieso nicht und überregionale Zeitungen kamen nicht zu uns durch.

Der Birkenweg in Neuenbrook eine Woche nach dem Beginn des Schneesturms - ein Teil kann noch immer nicht geräumt werden. Der Schnee ist inzwischen zu einer festen Masse zusammengeforen.

Ein Radlader räumt den Parkplatz am Ortsausgang eine Woche nach dem Schneesturm.

Am 23. Februar sind immer noch nicht alle Straßen im Ort geräumt. Die Anwohner des Birkenweges kommen immerhin schon wieder alle zu ihren Häusern durch, wenn auch teilweise über Umwegen. Das letzte Stück wird erst an diesem Tag geräumt.

Das Foto zeigt die Schneeberge entland der Bundesstraße B 5 nach dem Schneesturm.
Auch nach den beiden Schneestürmen hatten wir noch einige Probleme mit dem Schnee: Denn Mitte März 1979 ging alles wieder von vorn los. Eine Grenzwetterlage baute sich auf, am 15. März schneite es stundenlang und es gab zwischen den immer noch liegenden Schneebergen erste Verwehungen. Im Laufe des Nachmittags blieben erste Fahrzeuge in Schneewehen stecken. Die noch frischen Erinnerungen ließen schlimme Befürchtungen aufkommen, auch wenn die Wetterberichte Entwarnung gaben. Am nächsten Tag war der kleine Spuk dann auch wieder vorbei, wir waren froh.
Der schmelzende Schnee ließ dann Ende März und Anfang April das Wasser ansteigen. Die Gräben im Dorf liefen über, manche hatten das Wasser schon im Garten und im Keller stehen. Auch die Feuerwehr musste eingreifen, als die Überflutung eines Trafohäuschens und damit ein Stromausfall drohte. Schlimmere Überschwemmungen gab es aber nicht.
Mitte April lagen an der Bundesstraße südlich von Neuenbrook immer noch Schneeberge, die langsam dahinschmolzen und regelmäßig die Fahrbahn nass machten. An manchen klaren Abenden gefror das Wasser zu einer einzigen Eisbahn. Besonders schlimm war die Lage an einem Sonntagabend, als der Verkehr völlig zusammenbrach. Der gesamte LKW-Verkehr kam auf der leicht abschüssigen Bundesstraße zum Erliegen, stundenlang ging gar nichts mehr.
Kleines Nachspiel Anfang Mai:

Und der Winter 1978/79 hatte noch etwas ungewöhnliches zu bieten: Zwar etwas später und eigentlich mitten im Frühjahr, aber es war noch einmal ein winterlicher Nachschlag, als der Regen am Vormittag des 1. Mai 1979 plötzlich in Schnee überging und es zwei Stunden lang recht kräftig schneite. Vor allem auf Autos und Rasenflächen sowie Bäumen bleib der Schnee für kurze Zeit sogar liegen - und das mitten am Tage...

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